Die deutsche Krankenhauslandschaft ist bereits mittendrin im Veränderungsprozess, der durch die Krankenhausreform 2025 moderiert wird. Von ein „paar hundert“ Krankenhäusern, deren Schließung zu erwarten ist, spricht Gesundheitsminister Lauterbach. Anpassung an die neuen Entlohnungsmodelle sowie spezifische Ländervorgaben und daraus resultierende Strategien stehen für alle an. Und auch wenn noch vieles Spekulation ist und Machbarkeit und Fairness in der Reformumsetzung unter Beweis zu stellen sein werden, so schärft sich doch für jedes Haus das Bild, mit welchen Leistungen es in die Zukunft gehen wird, mit welchen nicht (mehr) und welche Leistungen mit Fragezeichen versehen sind.
Das alles passiert nicht in einem gut laufenden, ressourcenstarken System, sondern die Reform ist die bewusste politische Antwort auf eine Mangelwirtschaft in der Abwärtsspirale. Die politische Annahme ist, dass durch neue „Top-down-Spielregeln“ die notwendige Marktbereinigung und gesundheitspolitische Reorganisation erreicht werden kann, die der Zukunft und nachhaltigen Rettung unseres deutschen Gesundheitssystems zuträglich ist (ohne sich mit Einzelsituationen auseinanderzusetzen zu müssen). Auch wenn diese volkswirtschaftliche Annahme weitestgehend konsentiert wurde, ist sie eine Herkulesaufgabe für jedes Haus, denn die Reform trifft auf Krankenhausbetriebe im Spar- oder sogar Defizitmodus, Krankenkassen und Kontrollinstanzen mit Rotstift und nicht zuletzt auf ausgedünnte und ausgebrannte Personalstrukturen.
Reorganisation und Veränderung sind per se eine Herausforderung an Menschen und Organisationen. Wie kann ein Haus nun aus der bereits heute so zugespitzten Situation heraus an diese Reform herangehen? Was ist bei Projekten im Sinne der Krankenhausreform 2025 zu beachten? Dieser Blogartikel soll darauf Antworten liefern und Ihnen Unterstützung bieten, Ihre Reformprojekte mit wirkungsvollen Maßnahmen zu strukturieren.
1. Mit Realitätsbezug planen
Betten, Leistungen, Personal und Budget sollten für interne Zwecke so geplant werden, dass sie auch von den zuständigen Leitungskräften als realisierbar bewertet werden. Dabei sollte sowohl die Patienten- als auch die Mitarbeitersicherheit in einem akzeptablen Maße eingeplant sein (z.B. Isolationspatienten einplanen, notwendige Anleitungsunterstützung einplanen) und es sollte auch notwendige Vor- und Nacharbeit zur unmittelbaren Patientenversorgung eingeplant werden (z.B. Arztbriefe).
Für Personen mit kaufmännischem Background bedeutet dies, dass ein Commitment der Verantwortlichen einzuholen ist, sonst ist die Planung nicht belastbar.
Für fachlich Verantwortliche bedeutet das, dass Vorgabewerte kritisch, aber konstruktiv hinterfragt werden sollten und anhand von Beispieldaten aus leistungsstarken Perioden validiert werden sollten.
Gute Planungen können in ein Steuerungsinstrument überführt werden, das auch für die interne Abteilungsführung genutzt werden kann. Welche Personalmindestbesetzungen sind für welche Leistungen erforderlich? Welche Schwellenwerte gibt es, um Leistungen täglich zu steuern und ggf. tagesaktuell nach unten anzupassen? Mit welcher Priorität werden Leistungen reduziert oder auch nicht reduziert (Rangordnung)? Das System Krankenhaus ist komplex, keiner agiert alleine. Finden Sie Ihre Kennzahlen, mit denen Sie einzelne Abteilungen täglich steuern können und machen Sie Abhängigkeiten von Faktoren in der Abteilung und ggf. auch von Einflussfaktoren außerhalb der betrachteten Abteilung transparent.
2. Personal finden und binden
Ohne Personal geht letztendlich gar nichts. Es ist daher allerhöchste Zeit umzudenken. Krankenhaus ist ein „people business“, nicht nur eine Maschinerie, die jederzeit mit notwendigen Produktionsmitteln (wie Menschen) nachbestückt werden kann. Wenn sich Mitarbeiter:innen gegen ein Haus entscheiden, kann es sein, dass Leistungen von der Stückzahl her und/oder auch vom Inhalt der Leistung her nicht mehr angeboten werden können, weil die Leistungen an Expertenwissen gebunden waren.
Ein „people business“ benötigt mehr Fokus auf die Menschen. Menschen wollen mit Sinn geführt werden, Vorgehensweisen sollten transparent gemacht werden, es muss für Anschlussfähigkeit gesorgt werden. Menschen agieren mit anderen Menschen, d.h. wir gewinnen und halten sie über Bindungen, über vertrauensvolle und verlässliche Arbeitsbeziehungen, die von Respekt und Loyalität geprägt sind. Mehr dazu in den beiden folgenden Absätzen.
Für alle medizinischen Leitungskräfte, die aufgrund von Personalengpässen Schwierigkeiten haben, die Leistungen umzusetzen, die per Nachfrage und gemäß der Planung möglich sind, bedeutet das: Gehen Sie selbst auf die Suche nach neuen Mitarbeiter:innen. Kontaktieren Sie möglichst früh Bewerber:innen persönlich. Nutzen Sie Ihre Kontakte, rufen Sie selbst bei Kolleg:innen an, die Sie sich für die zu besetzenden Stellen vorstellen können. Wenn durch reformbedingte Umstrukturierungen andernorts Leistungen gestrichen werden, die nun bei Ihnen verstärkt angesiedelt werden: Kontaktieren Sie so schnell wie möglich die Mitarbeiter:innen persönlich, die davon betroffen sind! Ein/e neue/r Mitarbeiter:in entscheidet sich viel leichter, wenn sie oder er sich für Personen und Teams entscheiden kann! It’s a people business – und in einem people business wirken die Personen am stärksten.
Generell gilt, dass sich Mitarbeiter:innen für einen Job anders entscheiden als für eine Ehe, bei der ja bei „Vertragsabschluss“ bereits in den Raum gestellt wird, dass es gute und schlechte Zeiten geben kann. Ein Job ist letztendlich immer ein kontextspezifischer Deal. Und wenn an diesem Deal an der einen Seite etwas verändert wird (z.B. die Leistungen müssen in weniger Zeit bzw. ohne Unterstützung gebracht werden oder die eigenen bzw. gewünschten Kompetenzen können im Haus nicht mehr erlernt oder praktiziert werden), so ist streng genommen der alte Deal beendet (auch wenn der Arbeitsvertrag davon unberührt bleibt) und ein neuer Deal für den neuen Kontext muss abgeschlossen werden. Es ist Aufgabe der Krankenhausleitungen und Führungskräfte zu prüfen, ob Deals erneuert werden müssen und ob bestehendes Personal sich auch nach Veränderungen weiterhin an das Haus gebunden fühlt!
3. Interne Anschlussfähigkeit herstellen
Wenn keine Anschlussfähigkeit mehr für Mitarbeiter:innen herrscht erkennen Sie das z.B. an folgenden Sätzen: „Keine Ahnung, was die da machen.“ / „Das ist doch alles Blödsinn.“ / „Das ist mal wieder völlig an der Praxis vorbei.“ / „Es betrifft mich, aber ich erfahre es als letztes.“ u.v.m.
Anschlussfähigkeit herstellen können Sie insbesondere durch 4 Stellenschrauben:
- Das Narrativ: Die jetzige Situation ist unzweifelhaft anspruchsvoll, daher bedarf es einer permanenten Moderation der Gegenwart und der Geschehnisse durch Führungspersonen. Überlassen Sie das „Narrativ“ über die anspruchsvollen Zeiten nicht dem Zufall, denn der richtet sich zumeist gegen Leitungspersonen und ist für Mitarbeiter:innen und Leitungskräfte wesentlich kräftezehrender als ein von Leitungskräften aktiv gestaltetes Narrativ.
- Die Zukunftsvision mit Zugkraft: Ohne ein Zukunftsbild, das erreichbar und einigermaßen attraktiv erscheint, verlieren Ihre Mitarbeiter:innen heute bereits alle Energie. Arbeiten Sie realistische und (einigermaßen attraktive) Zukunftsbilder heraus, mit denen Sie Ihre Mitarbeiter:innen in die Zukunft mitnehmen können. Diese sind wiederum Bestandteil Ihres Narrativs.
- Die Nahbarkeit: Bleiben Sie als Führungspersonen und auch als Projektpersonen im permanenten Gespräch. Nahbarkeit schafft Bindung.
- Die Glaubwürdigkeit: Halten Sie Vorgaben und Absprachen ein, z.B. halten Sie sich an Steuerungsvorgaben und Kennzahlen, die entwickelt wurden. Wenn nicht, machen Sie unbedingt transparent, warum nicht. Wenn Sie nicht glaubwürdig sind, verlieren Sie die Bindung. Seien Sie lieber konstruktiv ehrlich als zu stark beschönigend. Und nach wie vor gilt: Ein schlechtes Erlebnis muss in der menschlichen Wahrnehmung durch 3 positive Erlebnisse ausgeglichen werden!* Für eine Glaubwürdigkeit benötigen Sie also in der Wahrnehmung Ihrer Mitarbeiter:innen mindestens einen Faktor 4:1!
* Der „Negativitäts-Bias“ nach Roy F. Baumeister und der 2001 veröffentlichten Metanalyse „Bad is Stronger Than Good“
4. Arbeitsfähigkeit des Personals sicherstellen
Kostendruck, Sparzwänge, Fachkräftemangel etc. belasten Organisation, Leitungskräfte und einzelne Mitarbeiter. Viele sind individuell erschöpft.
Daher brauchen gerade jetzt sowohl einzelne (insbesondere Leitungskräfte) den Support, um wieder aus dem eigenen inneren Notfallmodus herauszukommen, als auch die Teams als Gruppe. Solange die einzelnen Teammitglieder und/oder das gesamte Team im Notfallmodus sind, ist die Arbeitsfähigkeit reduziert und die Mitarbeiter:innen brennen nach und nach aus.
Die leistungsstärkste Ressource, die dieser Erschöpfung entgegengesetzt werden kann, ist die Teamkraft, denn ein starkes Team kann sich untereinander die Sicherheit, die Unterstützung, den Zuspruch und das Klima verschaffen, in dem jede/r einzelne das Gefühl hat, nicht alleine dazustehen und die Anforderungen im Team lösen zu können.
Als praktisches Tool empfehle ich, Erschöpfungen im Team transparent zu machen und darüber lösungsorientiert in den Dialog zu gehen. Gut gemacht bewirkt bereits das „Benennen“ der Situation eine Entlastung und führt einen Schritt aus dem Notfallmodus heraus. Wenn dann noch die Power des Teams positiv hineinwirkt und Führungskräfte für die o.g. Anschlussfähigkeit sorgen, können die Rahmenbedingungen unverändert sein, aber Sie erhalten eine andere Reaktion darauf.
Auch hausübergreifend können Sie dazu beitragen, dass Ihre Mitarbeiter:innen seltener in den Notfallmodus kommen, indem Sie z.B. für mental belastentende Situationen zentrale Ressourcen bereitstellen wie die aktive Unterstützung bei Strukturprüfungen oder zentral unterstützende Ansprechpartner bei eingetretenen Adverse Events.
5. Leistungsprozesse und Schnittstellen zu Ende denken
Egal ob Leistungen bei Ihnen im Haus nun verstärkt angeboten werden oder ob sie eher abwandern werden – Leistungsanpassungen müssen zu Ende gedacht werden (und werden es doch leider viel zu selten)!
- Wie gehen Sie mit einer Nachfrage um, die Sie nun nicht mehr umsetzen? Wie können Sie diese frühzeitig umlenken? Was bleibt womöglich doch noch und lässt sich nicht umlenken? Wie kann damit verfahren werden (prozessual und abrechnungstechnisch)?
- Wie gehen Sie mit Leistungen um, die Sie nun womöglich vermehrt umsetzen? Wie bekommen Sie die Leistungen umgesetzt (prozessual und bzgl. der Ressourcen)?
Alle Schnittstellen müssen bedacht werden, nicht nur für die eigene Abteilung, sondern auch darüber hinaus, z.B. für die Notaufnahme, für den OP, die Servicekräfte für ambulante und stationäre Anmeldungen, etc.
6. Vielversprechende Optimierungsansätze mitnehmen
Wenn sich Prozesse ändern, dann ist das ein guter Zeitpunkt, um vielversprechende Optimierungsansätze, die bisher nicht umgesetzt wurden (z.B. aufgrund von Zeitmangel oder Bedenken vor kurzfristiger Instabilität) gleich mit umzusetzen. Insbesondere aus vielen Einzelcoachings weiß ich, dass z.B. bei den Fachärzt:innen in Weiterbildung ein riesiger Wissensschatz über Prozessverbesserungen liegt. Wenn es gelingt, diesen Wissensschatz anzuzapfen und die Mitarbeiter:innen gut einzubeziehen und zu Akteuren mit Gestaltungsspielraum zu machen, dann können Sie Anpassungen an die Krankenhausreform mit längst überfälligen Prozessoptimierungen verbinden und dadurch wiederum anschlussfähiger machen.
7. Leistungen nach Außen transparent machen
Damit Sie die Leistungen, für die Ihr Haus Experte ist, auch zukünftig gut umsetzen können, muss der Patientenfluss in Ihr Haus hinein gut gesteuert werden. Im besten Fall kommen die Patient:innen in Ihr Haus, die passend zu Ihrem Portfolio sind. Damit Sie diese Stimmigkeit von Nachfrage und Ihrem Angebot insbesondere für die elektive Patientenversorgung bestmöglich herstellen können, ist der Dialog mit anderen Versorgern im System (z.B. Hausärzte, Fachärzte, Altenheime, Rettungswesen) weiterhin erforderlich und kann möglicherweise an der einen oder anderen Stellen auch noch eine Auffrischung erfahren.
Ebenso können Sie das vom Krankenhauszukunftsgesetz gefördert und geforderte Patientenportal nutzen, um bereits Anmeldeprozesse in Ihr Haus hinein so transparent zu machen und organisatorisch so klar zu lenken, dass die Patienten, die in Ihr Haus (inkl. Ambulanzen) kommen, auch wirklich in das Portfolio Ihres Hauses hineinpassen.
Zeit, die Sie hier investieren, zahlt sich später in der Praxis mehrfach aus.
8. Fazit
Abschließend ist zu sagen, dass die Krankenhausreform viele Projekte und Führungstätigkeiten nach sich ziehen wird, die neben den vielfältigen Rechengrößen und Steuerungswerkzeugen mehr als je zuvor auf die im System arbeitenden Menschen schauen sollten, um diese sinnvoll einzubinden und in die Zukunft mitzunehmen.
Kommen Sie auf mich zu, wenn ich Sie dabei unterstützen kann! Menschlichkeit und Zielerreichung sind kein Widerspruch, sondern vielmehr sind Menschlichkeit und positives Teamerleben die zentralen positiven Stellschrauben, mit denen Sie Ihr Krankenhaus in die Zukunft führen können.